Dissertationsprojekt: Narrative Geschichtsbilder im Feld historischer Romane (1913-1933)
Doktorand: Stefanie von Rüden
Erstbetreuer: Prof. Dr. Marko Demantowsky
Zweitbetreuer: Prof. Dr. Constantin Goschler
Förderinstitution: keine
Projektzeitraum (gesamt): September 2009 – Juli 2016 (abgeschlossen)
Projektabschluss: Disputation an der Ruhr-Universität Bochum
Kurzbeschrieb: Es ist unübersehbar, dass Geschichte eine alltagsweltliche Präsenz in unserer Gesellschaft besitzt. Aber nicht die Geschichtswissenschaft dominiert in der Öffentlichkeit, sondern eine eigenständige Geschichtskultur, die ihre Geschichten sinnlich, ästhetisch und kreativ zu präsentieren weiß. Durch diese Präsentation wird das Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft artikuliert und praktisch wirksam. Durch das Erzählen von Geschichte(n) wird Geschichte gleichsam inszeniert. Der narrative Charakter der geschichtskulturellen Kommunikation wird hier überdeutlich. Die Ästhetik dient dabei nicht als bloßer Verstärker von kognitiven Einsichten. Vielmehr werden Perspektiven auf die Vergangenheit erzeugt und neue Sinnbildungsangebote gemacht.
Der historische Roman ist die wohl augenfälligste Form der historischen Narration. Somit beeinflusst er auch das Geschichtsverständnis der Gesellschaft. Aber wie geschieht das? Welche Geschichtsbilder werden vermittelt? Und welche Absichten stehen dahinter? Zu diesen Fragen gibt es bisher genauso wenig Antworten wie zu Daten darüber, wie viele historische Romane wann zu welchen Themen veröffentlicht wurden. Um aber die Geschichtsbilder in historischen Romanen und deren Einfluss auf die Gesellschaft intersubjektiv beurteilen zu können, müssen zunächst grundlegende Fragen beantwortet werden: Welche Themen waren zu welcher Zeit besonders beliebt? Gibt es spezifische narrative Strukturen? Welchen Einflüssen unterliegen narrative Geschichtsbilder? Gibt es Zusammenhänge zwischen der Wandelbarkeit des Geschichtsbewusstseins in der Gesellschaft und der Präsentationsweise historischer Romane?
Von der Geschichtswissenschaft wurden bislang lediglich einzelne Werke ohne empirische Basis analysiert. In diesen Aufsätzen werden – wenn überhaupt – immer wieder unterschiedliche Analysekriterien angewandt. Der Aussagegehalt ist somit stark begrenzt. In der Literaturwissenschaft kann man das gleiche Phänomen beobachten. Am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck wurde jedoch in den Jahren 1991 bis 1997 eine Bibliographie des historischen Romans erstellt. Für die hier zugrunde liegenden geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen ist diese Datenbank allerdings nicht zu gebrauchen, da ihr eine stark literaturwissenschaftliche Romandefinition sowie ein normatives Vorgehen zugrunde liegen.
Die Geschichtsdidaktik muss es sich endlich selbst zur Aufgabe machen, dieses wahrnehmungsformende Massenmedium genauer zu betrachten und damit auch ernster zu nehmen, als das bisher der Fall gewesen ist. Von besonderer Bedeutung ist dabei, nicht nur Werke der einschlägigen Kanonlisten und sogenannte höhere Literatur zu berücksichtigen, sondern eben auch jene ‚Schmöker‘, deren Anspruch auf Ästhetik schwerer wiegt als auf wissenschaftlich korrekte Historiographie.
Der Untersuchungskorpus umfasst alle in Deutschland erschienenen historischen Romane von 1913 bis 1933 in Fünf-Jahres-Schritten. Das Jahr 1913 als ‚Starter‘ begründet sich zunächst rein pragmatisch durch die Organisationsstruktur der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, in der lückenlos alle deutschen und deutschsprachigen Publikationen ab 1913 gesammelt und dauerhaft archiviert worden sind. Aber auch historisch ist das letzte Friedensjahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine nähere Betrachtung wert. In den folgenden Fünf-Jahres-Schritten werden wichtige Schlüsseljahre der deutschen Geschichte betrachtet. Betrachtet man den Zeitraum als Ganzes, bildet er gleichsam eine wichtige Umbruchphase zwischen dem 19. Jahrhundert, in dem sich der Roman als literarische Gattung fest etablierte, und dem 20. Jahrhundert, in dem der Roman aufgrund der fortschreitenden Alphabetisierung zum Massenmedium avancierte und gleichzeitig neue Popularisierungsmedien wie der Rundfunk an Bedeutung gewannen.
Der methodische Zugang erfolgt über die aus der Schulbuchforschung bekannte Triangulation, d.h. die Verbindung von bibliometrischer und hermeneutischer Analyse. Durch die Strategie, zwei verschiedene Forschungsmethoden auf das Phänomen ‚historischer Roman‘ anzuwenden, sollen die Stärken der jeweils einen Vorgehensweise die Schwächen der jeweils anderen ausgleichen. Die bisher rein hermeneutische Analyse historischer Romane ist stark subjektiv geprägt und nur unzureichend verifizierbar. Eine bibliometrische Analyse, die nun im Rahmen dieser Arbeit zum ersten Mal durchgeführt werden soll, bietet den Vorteil intersubjektiver Vergleichbarkeit und hilft, die Auswahl des hermeneutischen Analysekorpus nachvollziehbar zu legitimieren.
Im bibliometrischen Analyseteil werden alle historischen Romane der bereits genannten Jahre 1913, 1918, 1923, 1928 und 1933 in einer Datenbank gesammelt und ausgewertet (Autor, Verlag, Epoche, etc.), um das Forschungsfeld abzustecken und eine möglichst lückenlose Materialbasis zu sichern. Auf dieser Basis werden zehn zeittypische historische Romane für die hermeneutische Romananalyse ausgewählt. Eine Rolle spielen dabei besonders engagierte Verlage, die viele Neupublikationen im Feld historischer Romane aufweisen, sowie eine Fokussierung auf besonders beliebte Epochen und Themen. Durch die Analyse der sprachlichen Darstellung ausgewählter Schlüsselszenen sollen die Botschaften der Autoren systematisch entschlüsselt werden. Der Vergleich der in den zehn Romanen vorgefundenen Geschichtsbilder könnte am Ende die Dynamik geschichtskultureller Narration aufzeigen.
F&E-Kontext in der Professur:
- Demantowsky Marko (2005): Geschichtskultur und Erinnerungskultur. Zwei Konzeptionen des einen Gegenstandes (2005), in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 33 (2005) 1, S. 11-20.
- Demantowsky Marko (2015): “Public History” – Sublation of a German Debate? In: Public History Weekly 3 (2015) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-3292.