15-23 PhD / Geschichte des Unterrichtsfachs Geographie

 

Dissertationsprojekt: Geschichte des Unterrichtsfachs Geographie in der Deutschschweiz

 

Doktorand: Daniel Siegenthaler

Betreuer: Prof. Dr. Marko Demantowsky

Projektzeitraum: 2015 – 2023

 

Thematische Einordnung:
Das Dissertationsprojekt untersucht die Geschichte des Schulfachs Geographie an den schweizerischen Gymnasien im 20. Jahrhundert. Im Zentrum steht die Frage nach den Themen und Inhalten sowie den Konzepten des Schulfachs Geographie, deren Entwicklung und der wesentlichen Einflussfaktoren. Das Dissertationsprojekt schliesst für die Sekundarstufe II eine Lücke.

Ziele:
Das Dissertationsprojekt will die historische Konzipierung des Schulfachs Geographie in der Deutschschweiz sowie die inneren und äusseren Spannungsverhältnisse und Widersprüche des Schulfachs aufzeigen. Damit wird ein Beitrag geleistet zu einem fundierten Verständnis des Schulfachs Geographie, sowohl des gewachsenen Selbstverständnisses der Akteure wie auch des Fremdverständnisses durch aussenstehende Interessentengruppen (Politik, Verwaltung u.a.).

Fragestellungen:
Die Leitfragen lauten: Wie veränderte sich der Geographieunterricht an den deutschschweizerischen Mittelschulen im 20. Jahrhundert? Wie kam dieser Wandel zustande, welches waren die wichtigen Akteure und Einflussfaktoren und wie wurde er wahrgenommen und reflektiert?

Theoretische Verankerung:

In der Erforschung der Entstehung und Entwicklung von Schulfächern können zwei Ansätze unterschieden werden: Externe, die die Schulfächer vom Standpunkt der Kontrolle und Macht aus beschreiben, und interne, die die Schulfächer als Teil einer Schulkultur betrachten (vgl. SCHNEUWLY 2018: 286f). Für den externen Ansatz hat Ivar Goodson mit seinem 1990 erschienen Aufsatz «Zur Sozialgeschichte der Schulfächer» Pionierarbeit geleistet. Er ordnet die Funktionen der Schulfächer und beschreibt die Entwicklung von Schulfächern als soziales Konstrukt. Dabei unterscheidet er drei wesentliche Traditionen der Schulfächer: Die akademische, die utilitaristische und die pädagogische. Pädagogische und utilitaristische Zwecke verschwinden zunehmend, weil die Akteure, die die Schulfächer und ihre Inhalte bestimmen, vor allem an der Beibehaltung von Macht im System der Schule interessiert sind (vgl. SCHNEUWLY 2018: 287).  Beim internen Ansatz sind die Schulfächer Teil einer autonomen Schulkultur (CHERVEL 1988: 78) unterscheidet die „finalités réelles“ und die „finalitées d‘objectif“. Erstere bestehen in den Unterrichtspraktiken der Lehrpersonen, letztere sind in den offiziellen Dokumenten und Texten festgehalten. Die Grundfrage sei, „weshalb unterrichtet die Schule das, was sie unterrichtet?“. Deshalb müsse die Untersuchung der „finalités“ eines Schulfachs sowohl auf der Ebene der Absichten (z.B. der Lehrpläne) wie auch auf derjenigen der Unterrichtspraxis (d.h. der Lehrpersonen) erfolgen.

KÜNZLI (2006: 20) beschreibt das Schulfach als Denk- und Handlungsrahmen. „Das Fach ist die causa finalis und formalis von Schule, oder weil wir Fächer als Gemeinsamkeit verbürgenden Denk- und Handlungsrahmen brauchen, brauchen wir auch Schule, und nur weil wir solche Fächer haben ist Schule auch möglich.“ Und hinter den Fächern scheint eine soziale Ordnung auf, deren Determinanten Stundentafeln, Besoldungen und Statuszuschreibungen sind (vgl. KÜNZLI 2006: 23). «Je nach Blickpunkt erscheinen Schulfächer also als Gegenstand von Auseinandersetzungen um Macht, als Mittel sozialer Kontrolle des Denkens und Verhaltens und sozialer Auslese oder sie eröffnen Zugang zu Kultur durch Disziplinierung und ermöglichen so die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten, d. h. sie sind mögliche Orte der Bildung. Sie sind auch … Mittel und Mass der Verteilung und Anordnung von Wissen und stellen den Handlungsrahmen für das Lehrer- und das Schülerhandeln dar» (SCHNEUWLY 2018: 288).

Methoden:

In der Disziplin der Schulfachgeschichte ist der Beizug von verschiedenen Quellentypen zielführend. SCHÖNEMANN (1997: 193f) stellt verschiedene Quellen vor: Gedruckte Dokumente, insbesondere auch „graue“ Literatur, archivalische Quellen, durch Oral History produzierte Interviewzeugnisse oder offizielle Quellen. Er schlägt „puncto Materialbasis ein kombiniertes Vorgehen zum Zwecke späterer Quellenvernetzung“ vor (SCHÖNEMANN 1997: 194). Es wird angestrebt, in einer historischen „Tiefenbohrung“ empirische Befunde auszuarbeiten zu der von den Lehrpersonen ausgewählten Inhalten und Themen des Unterrichts im Fach Geographie. Damit kann die „Basis minimaler Empirie“ (DEMANTOWSKY 2011: 363) zumindest verbreitert werden und die Argumentationen fundierter abgestützt werden. Die schriftlichen Quellen werden mit der Methode der strukturierten Inhaltsanalyse bearbeitet (vgl. MATISSEK 2013: 214). Es handelt sich bei der Analyse dieser schriftlichen Quellen um eine qualitativ-interpretative Analyse, die sehr breit gefasst werden kann (vgl. WOLFF 2011: 502ff).

Quellenbestand:

Ein wichtiger Quellenbestand ist das Archiv des Vereins schweizerischer Geographielehrpersonen. Es enthält Protokolle der Sitzungen des Vorstands und der weiteren Versammlungen, Briefwechsel, Stellungnahmen, Publikationen, Mitgliederlisten und weitere Dokumente enthält. Das Archiv beginnt im Jahr 1911 und führt weiter bis ins 21. Jahrhundert. Ein weiterer wichtiger Quellenbestand sind die Jahresberichte von einzelnen Schulen. In den Jahresberichten werden von den Lehrpersonen die behandelten Themen pro Fach aufgeführt. Ergänzt werden diese Quellen durch Lehrpläne, Lehrmittel und weitere schriftliche Quellen.

 

Literatur (Auswahl):

Budke, Alexandra (2010): Und der Zukunft abgewandt – Ideologische Erziehung im Geographieunterricht in der DDR. Göttingen.

Chervel, André (1988): L‘histoire des disciplines scolaires. Réflexions sur une domaine de recherche. In: Histoire de l‘éducation. Nr. 38, S. 59-119.

Demantowksy, Marko (2003): Die Geschichtsmethodik in der SBZ und DDR – ihre konzeptuelle, institutionelle und personelle Konstituierung als akademische Disziplin 1945-1970. Idstein.

Demantowsky, Marko (2011): Zum Stand der disziplin- und ideengeschichtlichen Forschung in der Geschichtsdidaktik. In: Wermke, Michael (Hrsg.): Transformation und religiöse Erziehung. Kontinuitäten und Brüche der Religionspädagogik 1933-1945, S. 359-376.

Goodson, Ivor (1990): Zur Sozialgeschichte der Schulfächer. In: Bildung und Erziehung. Band 43, Heft 4, S. 379-389.

Goodson, Ivor (1993): Subject and curriculum change. London.

Mattisek, Annika, et al. (2013): Methoden der empirischen Humangeographie. Braunschweig.

Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim/Basel.

Reinfried, Sibylle (2004): Unterschiedliche Vorstellungen von Schulgeographie in der Schweiz – Ursachen und Wege der Angleichung. In: Hasler, Martin (Hg.): Die Schulgeographie in der Schweiz – Entwicklungen und Perspektiven. AFGg – Dokument Nr. 7, S. 4-16.

Schäfer, Klaus Martin (2007): Die politische Funktion der Geographie in der höheren Schule – vom Auf- und Niedergang eines Schulfachs nebst einem Vorschlag für die Zukunft. Köln.

Schneuwly, Bernard (2018): Schulfächer: Vermittlungsinstanzen von Bildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 21, S. 279-298.

Schultz, Hans-Dietrich (2004): Brauchen Geographielehrer Disziplingeschichte? In: geographische revue, Vol. 6, H. 2, S. 43-58.

Schultz, Hans-Dietrich (2012): Disziplingeschichte des Schulfachs Geographie. In: Haversath, Johann-Bernhard (Mod.): Geographiedidaktik. Braunschweig. S. 70-89.