Die Shoa im Schulunterricht – Studienaufenthalt in Yad Vashem

Die Shoa im Schulunterricht – Der Studienaufenthalt an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem, Jerusalem im September 2023

Der Bergier-Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, hat vor inzwischen über 20 Jahren, unter anderem die wirtschaftlichen Verstrickungen der Schweiz in die nationalsozialistische Wirtschaft untersucht. Die Auseinandersetzung der 1990er Jahre um die nachrichtenlosen Vermögen hat Schweizer Historiker*innen und die Öffentlichkeit gleichermassen stark beschäftigt. Refoulements von jüdischen Flüchtlingen, Nazigold und Fluchtkapital in der Schweiz, das „verspätete Nachdenken“ (Peter Schmid, 2000), aber auch der vielfältige individuelle Kampf gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus von Schweizer*innen, waren Themen, die auch nach dem Schlussbericht 2002 ausgiebig diskutiert worden sind und Gegenstand weiterer nachfolgender Auseinandersetzungen, nicht nur von Historiker*innen, waren und bis in die Gegenwart sind.

Die Studiengruppe vor dem Felsendom in Jerusalem

Die jährlich stattfindenden Studienaufenthalte an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem, Jerusalem, wurden 2011 an der Pädagogischen Hochschule FHNW von Prof. Dr. Peter Gautschi initiiert, bevor das Projekt mit seinem Wechsel an die Pädagogische Hochschule Luzern übersiedelte. Die Kooperation der Pädagogischen Hochschulen mit der weltweit anerkannten Gedenk- und Bildungsstätte in Yad Vashem, müssen in Verbindung mit dem Bergier-Bericht verstanden werden. Der Bundesrat hatte schon im August 2002 darauf hingewiesen, dass es nun vor allem an den Bürgerinnen und Bürgern, den Lehrkräften und wissenschaftlichen Kräften liege, sich eine Meinung zu bilden und die Ergebnissen der Kommission zu diskutieren und zu ergänzen. Seit 2012 reisen jährlich Lehrpersonen aus der Schweiz – Studierende und Dozierende der Integrationsfächer RZG und ERG – für mehrere Tage nach Israel, um sich mit der Vermittlung der Shoa in Schulen und Hochschulen vertieft auseinanderzusetzen.

Auch in diesem Jahr fand das Seminar für Lehrpersonen und Studierende aus der Schweiz, unter Federführung der Pädagogischen Hochschule Luzern, unterstützt von den Pädagogischen Hochschulen FHNW, Bern und Zürich, vom 01. – 08. September 2023 statt. Gefördert wird der Aufenthalt vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sowie der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Projektleiterin ist seit zwölf Jahren Barbara Sommer von der PH-Luzern. Von der PH FHNW ist seit mehreren Jahren Dr. Gaby Sutter Ansprechpartnerin und Koordinatorin für den Studienaufenthalt in Israel. Sie wurde dieses Jahr von Dr. Björn Klein begleitet. Studierende der FHNW können sich jedes Jahr für die Studienreise, die jeweils kurz vor dem Herbstsemester stattfindet, bewerben. Die Ausschreibungen werden jeweils auf dem Blog der Professur im Frühjahr/Sommer veröffentlicht. Zum Studien-Programm gehört insbesondere die Vermittlung des didaktischen Konzepts der Bildungsabteilung Yad Vashem, die mehrere Module für unterschiedliche Zielstufen, von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II, ausgearbeitet haben und die zu grossen Teilen auch online zur Verfügung stehen. Sekundiert wird die Bildungsabteilung durch die Gedenkstätte, das Archiv und die Forschungsabteilung in Yad Vashem, die gemeinsam die vier Säulen des renommierten World Holocaust Remembrance Center bilden.

Die Studiengruppe mit dem Tourguide Noam Yatsiv vor dem King David Hotel

Die Studiengruppe mit dem Tourguide Noam Yatsiv vor dem King David Hotel

Yad Vashem bedeutet sinngemäss «Denkmal» und «Name» und so wird nach dem bekannten Zitat des niederländischen Anwalts und Schriftstellers Abel Herzberg „Nicht sechs Millionen Juden wurden ermordet, ein Jude wurde ermordet und das ist sechs Millionen Mal geschehen“, ein biographischer Ansatz in der Gedenkstätte fokussiert. Diese Fokussierung auf einzelne Schicksale soll der Dehumanisierung der jüdischen Menschen im Nationalsozialismus entgegengestellt werden und so die einzelnen Menschen in den Vordergrund rücken. Nicht die Täter stehen im Zentrum, sondern einzelne jüdische Schicksale werden biographisch, insbesondere auch vor und nach dem NS eingehend thematisiert und vorgestellt. Mit dem didaktischen Ausgangspunkt, dass sowohl die Opfer als auch ihre Mörder Menschen waren, sollen Stereotype in der Bildungsarbeit verhindert werden.

Wer die Geschichte der Opfer schreibt, war schon während des Nationalsozialismus ein Thema. Der Plan der totalen Vernichtung jüdischen Lebens ging einher mit einem Mnemozid, einer „Arisierung des Gedächtnis“ (Dirk Rupnow, 2005). Dr. Birte Hewera hat in ihrer Auftakt-Lecture in Yad Vashem an das Ringelblum-Archiv, einer Sammlung von Dokumenten des geheimen Untergrundarchivs der Gruppe Oyneg Shabbos, im Warschauer Getto, erinnert. Über vier Tage hinweg wurde mit den Studierenden, in mehreren Workshops unter anderem Lehr- und Lerneinheiten zum jüdischen Vorkriegsleben in Polen, die Geschichte einer jüdischen Familie während des Holocaust durch die Augen eines jungen Mädchens und die Konsequenzen von Entscheiden und Handeln während des Bialystok-Massakers 1941, erarbeitet. Lectures über die Zerstörung des Europäischen jüdischen Lebens, den didaktischen multi-perspektiven Ansatz und wie die Shoah altersgerecht in der Schule vermittelt werden kann, wechselten sich ab mit Führungen über den weitläufigen Campus Yad Vashem, im Museum zur Geschichte des Holocaust, sowie weiteren geführten Touren zur Klagemauer, auf den Tempelberg und nach Bethlehem. Abgeschlossen wurde die Studienreise mit einem zweitägigen Aufenthalt und Touren durch das jüdisch-arabisch Arbeiterklassenviertel Ramla und das historische Tel Aviv-Jaffa.

Vielen Dank an Barbara Sommer von der PH Luzern für das Interview zur Geschichte des Studienprogramms, vor Ort in Yad Vashem, den Studierenden und Dozierenden, sowie an alle Unterstützer*innen dieses intensiven, wichtigen und sehr empfehlenswerten Workshops an der International School for Holocaust Studies.

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